20.SSW
Die erste Vermutung äußerte meine Frauenärztin in der 20. Schwangerschaftswoche. Als Differentialdiagnose erwähnte sie auch eine Lungenzyste. Sie rief direkt in der Klinik an und organisierte für mich einen Termin eine Woche später zur Feindiagnostik. Dort wurde uns dann bestätigt, dass unser kleines Mädchen mit einer linksseitigen Zwerchfellhernie zur Welt kommen würde. Allerdings waren die Prognosen da noch sehr gut. Der Arzt, er meinte selbst, er sei nicht der Spezialist für CDH, sagte, dass sie eine doch relativ große Lunge habe. Er verwies uns eine Woche später auf einen Spezialisten im Uniklinikum Graz. Dieser konnte die Meinung seines Kollegen nicht bestätigen und rechnete uns geringe Überlebenschancen für Jordis aus.
Folgende Untersuchungen wurden in der Reihenfolge vorgenommen:
Umfassender Ultraschall mit Messung der Lungengröße und genauer Untersuchung der Organe, sofern dies möglich war.
Amniozentese (keinerlei Auffälligkeiten)
MRT 24.SSW (linksseitige Zwerchfellhernie mit liver up und einem Lungenvolumen von 8,2 ml und eher ungünstiger Prognose)
Ca. im 2 Wochentakt US-Kontrollen in der Klinik zusätzlich zu den normalen Mutter-Kind-Pass-Kontrollen bei der Frauenärztin
MRT und 3x US in der 28.SSW in Leuven/Belgien und Teilnahme an der Studie Total TRIAL. Wir kamen allerdings in den abwartenden Zweig der Studie, was so viel bedeutete, dass bei Jordis die Trachealballonoperation nicht durchgeführt wurde.
US und Feindiagnostik in Gießen.
US in Mannheim.
Zum Zeitpunkt der Diagnose waren wir bereits eine fünfköpfige Familie, unser Großer war 4 und die Zwillingsjungs 2 Jahre. Für uns, vor allem für mich, brach eine Welt zusammen. Die Einstellung meines Mannes ist von vorne herein eine positivere im Umgang mit Problemen.
Ich muss dazu etwas weiter vorne in der Geschichte ansetzen. Wir hatten drei wunderbare, gesunde Kinder und dennoch fühlte ich mich noch nicht komplett. Ich sagte immer zu meinen Freunden, die sicher waren, dass wir es bei drei nicht belassen würden: „Wenn ich wüsste, dass ein weiteres Kind gesund und ohne Probleme zur Welt käme, würde ich sofort wieder loslegen.“ Man sollte mit dem zufrieden sein, was man hat und das Schicksal nicht ein weiteres Mal herausfordern. Diese Angst ließ mich nicht los, und darum unternahmen wir auch nichts Konkretes in Bezug auf die Familienvergrößerung. Aber wir haben die Rechnung ohne unser kleines Wunder gemacht. Sie hat uns diese Entscheidung abgenommen. Ich war nervös und hatte – obwohl ich mich wahnsinnig freute – ein eigenartiges Gefühl, das ich nicht näher beschreiben kann.
Nach dem ersten Schock, dass sie eine angeborene Fehlbildung haben würde, wollten wir das Schicksal nicht einfach so annehmen. Wir sagten uns immer wieder, dass alles gut wird und wir eine Kämpferin haben werden. Die darauf folgenden Wochen waren ein ewiges Auf und Ab mit unendlich vielen Tränen und emotionalen Zusammenbrüchen. Warten auf irgendwelche Termine – ein MRT wurde gemacht, weitere US-Untersuchungen, eine Amniozentese. Das MRT und die weiteren wöchentlichen US-Untersuchungen zeigten nicht wirklich viel Positives, außer eine fröhlich vor sich hin strampelnde kleine junge Dame, der es in Querlage in meinem immer größer werdenden Bauch anscheinend sehr gut gefiel. Die Einschätzung der Lunge war noch immer so, dass sie wohl sehr klein sei, und sich aber auch die Leber im Thorax befinden würde.
Für uns war ein Schwangerschaftsabbruch dennoch nie eine wirklich ernst zu nehmende Variante. Auch wenn die Überlebenswahrscheinlichkeit nur 1 % gewesen wäre, könnte genau sie dieses eine Prozent sein. Wir wollten ihr die Möglichkeit geben, den Kampf mit unserer Unterstützung aufzunehmen.
Als nächstes kam Leuven/Belgien und die Trachealballonokklusion, also der vorgeburtliche Eingriff, ins Spiel. Darauf setzten wir unsere gesamten Hoffnungen. Wir wollten unbedingt an dieser Studie teilnehmen. Das Problem war allerdings, dass diese Option von den Messwerten in Belgien bzw. dem Ausgang der Randomisierung abhing und wir sie eigentlich nicht beeinflussen konnten. Es war fürchterlich für uns, dass es zwar eine Behandlung im Vorfeld gäbe, wir sie allerdings nur bekämen, wenn wir in den behandelnden und nicht in den abwartenden Zweig dieser Studie fielen. Die Chancen standen also 50 zu 50. Am 9. Dezember 2014 machten sich mein Mann und ich auf den Weg nach Leuven. Unsere Kinder ließen wir bei Oma und Opa. Es zerriss mir das Herz, denn ich wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis ich sie wiederhaben würde. Wir hatten uns für alle Möglichkeiten einen Plan zurechtgelegt. Meine Angst, dass ich eventuell nicht mehr vor der Geburt nach Hause kommen würde, machte mit schwer zu schaffen. Mein Mann war immer wieder der rettende Anker, der mich auffing, wenn ich glaubte, dass ich das nicht schaffen würde. Er relativierte meine Ängste sehr oft, wodurch sie aber dennoch nie verschwanden. Wir wussten, dass wir immer nur einen Schritt vor den anderen machen konnten. Und das auch nur, solange unsere Prinzessin da auch mitmachen wollte. Der langen Rede kurzer Sinn: Wir kamen in den abwartenden Zeig der Studie, d.h. die Trachealokklusion wurde nicht gemacht. Wieder einmal waren alle unsere Hoffnungen und wir selbst am Boden zerstört. Wir konnten nicht verstehen, warum unsere Tochter diesen lebensrettenden Eingriff (zu diesem Zeitpunkt waren wir zu 100% dieser Meinung) nicht bekommen sollte. Obwohl sich gerade bei mir die Anspannung etwas löste. Wir waren wieder zu Hause und konnten gemeinsam mit unseren Kindern und der Familie Weihnachten feiern. Ich machte mir immer wieder bewusst, dass es unserer Maus in meinem Bauch an nichts fehlte und es ihr gut ging. Wir waren bei unseren Familien zu Hause und blendeten die Diagnose und v.a. die Prognosen für ein paar Tage aus. Ich weiß aber noch, als wäre es erst vor einigen Tagen gewesen, dass ich mir am Heiligen Abend immer wieder die Frage stellte, ob dieses nun unser erstes oder unser letztes gemeinsames Fest sein würde. Unsere Jungs werden in dieser Zeit wohl immer wieder gedacht haben, dass ihre Mama schon ein sehr seltsames Wesen sein müsse. Ohne Vorwarnung habe ich sie immer wieder in den Arm genommen, ihnen gesagt, dass ich sie liebe. Ich war so dankbar, dass es ihnen gut ging und dennoch so wütend, dass unsere Tochter ein derart schweres Los gezogen hat. Immer wieder stellte ich die Frage nach dem Warum.
Nach einigen ruhigeren Tagen um Weihnachten und Neujahr ließ uns das Thema Ballon dann wieder keine Ruhe. Nachdem ich im Internet herausgefunden hatte, dass es in Gießen einen Arzt gibt, der diesen Eingriff auch durchführt, bekamen wir wieder Fahrtwind und unsere Reise wurde immer stürmischer. Wir nahmen Kontakt mit ihm auf und ein paar Tage später waren wir bei ihm vorstellig.
Dieser Termin hat ewig gedauert, aber wir sind nach einer ziemlich falschen Messung zwiegespalten heraus. Einerseits waren da die vielen Messungen einer sehr kleinen Lunge und dann seine Worte, dass sie eine richtig große und gut durchblutete Lunge habe. Egal, das Wichtigste ist, dass wir durch ihn nach Mannheim kamen. Er meinte zu uns, der Ballon sei nicht notwendig, aber die nachgeburtliche Behandlung sei sehr, sehr wichtig.
Und so kam es dazu, dass wir unplanmäßig zwei Stunden später das erste Mal vor den Türen der Station 30-4 in Mannheim standen.
Auch wenn uns gleich wieder bestätigt wurde, dass sich der letzte Arzt vermessen haben muss, so waren das Gespräch, der Rundgang auf der Intensivstation und die Untersuchung so positiv für uns. Bis jetzt hieß es immer, dass es schwer wird, und dass die Chancen, dass sie es schafft, nicht groß sind.
Ab da fing eine sehr schwierige Zeit für uns an. Wir wussten, wo wir eigentlich hinwollten. Aber es kamen viele offene Fragen auf uns zu. Wie schaffen wir das mit unseren Kindern? Wird unsere Krankenkasse mitspielen? Was tun, wenn die Krankenkasse „nein“ sagt? Zu diesem Zeitpunkt war ich in der 33. oder 34. Schwangerschaftswoche. Die Zeit war knapp. Bald wurde klar, dass die Krankenkasse nicht mitspielen würde. Wir versuchten alle möglichen Wege, um die Behandlung bezahlt zu bekommen. Tag für Tag verging und wir wussten nicht wirklich weiter. Auch der Gedanke, dass ich von meinen drei Jungs getrennt sein soll, war sehr, sehr schlimm. Wie oft bin ich in dieser Phase im Badezimmer unter der Dusche in Tränen zusammengebrochen und wollte nur noch, dass das alles nicht wahr ist. Wir mussten für unsere Kleine, aber auch für unsere Jungs stark bleiben. Aber ich fühlte mich so oft am Ende. Dachte mir, ich kann nicht mehr. Aber man weiß erst, wie stark man ist, wenn stark sein die einzige Alternative ist….
Wir haben uns dann gesagt, wir wollen uns nie im Leben vorwerfen, dass wir nicht alles (was für uns die Behandlung in Mannheim war) für sie getan hätten. Somit war klar, dass wir nach Mannheim gehen werden. Allerdings war das erst ein paar Tage vor dem geplanten Geburtstermin.
Und dann war er auch schon da, der Tag an dem wir uns bereit machten – zu unserer bisherigen „größten“ Reise. Ich weiß noch als wäre es erst gestern passiert, wie ich zwei Tage vor Jordis Geburt am Boden im Haus meiner Eltern saß und in Tränen aufgelöst meine Jungs im Arm hielt und so sehr hoffte, dass sie ihre Schwester überhaupt kennenlernen würden. Ich wusste nicht, wann ich sie wiedersehen würde, weil für uns klar war, dass wir die Jungs erst nach Mannheim holen, wenn die Lage entspannter ist und die größte Gefahr für Jordis gebannt sei. Aber wir hofften, dass Jordis uns dabei unterstützen würde, dass die Familie bald vereint ist.
Tja, eigentlich wusste sehr lange fast niemand davon. Wir wollten es keinem sagen. Meine Familie hatte ein relativ schwieriges Jahr hinter sich und wir wollten nicht, dass sie sich wie wir große Sorgen machen. Allerdings brauchte ich jemanden, mit dem ich über unser Problem reden konnte. Und hier bin ich meiner besten Freundin unendlich dankbar. Ihr habe ich diese Bürde aufgeladen. Ihr habe ich erzählt, was los ist. Von ihr wurde ich in den Arm genommen, wenn’s nicht weiterging. Ich habe es nicht geschafft, komplett allein zu sein mit der Diagnose. Ihr konnte ich ins Telefon weinen. Aber sie war von Anfang an so positiv. Und war mir eine echte Stütze. Mein Mann ist in diesen Dingen anders. Er macht diese Dinge meist nur mit sich selbst aus.
Meine Schwester war als nächstes dran, denn eines Tages konnte ich vor ihr den Schein, dass alles in Ordnung und bestens ist, nicht mehr wahren. Also erzählte ich auch ihr, was los ist. Bat sie allerdings, es für sich zu behalten, um unseren Eltern vorab den Kummer und die Sorge zu ersparen. Was im Nachhinein absolut nicht fair war, denn sie konnte somit mit niemanden darüber reden, denn es ging ja auch um ihre Nichte, die sie zu diesem Zeitpunkt auch schon ganz fest ins Herz geschlossen hatte.
Zu dem Zeitpunkt, als für uns klar war, dass wir nach Belgien zur Ballon OP wollen, mussten wir unsere Eltern einweihen, denn sie mussten unsere Jungs für die erste Zeit übernehmen. Und meine Mama hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Und so haben wir sie mit der Diagnose konfrontiert, aber alles etwas optimistischer dargestellt, als es für uns damals war.
Es gab also wirklich nur einen kleinen Kreis, der vor der Geburt wusste, was wirklich los war. Wir wollten einfach verhindern, dass uns Leute nur noch bemitleiden und über uns reden und nur mehr „das“ dann Gesprächsthema ist. Ich habe auch während der ganzen Zeit nie jemanden angelogen. Auf die Frage, wie es dem Baby ginge, sagte ich immer, dass es ihr momentan im Bauch gut geht. Auf die Frage, wo ich entbinden werde, sagte ich auch immer wahrheitsgemäß, dass ich es noch nicht weiß, weil es im gesunden Falle auch zwei Möglichkeiten gab.
Unseren Kindern erzählten wir kurz vor der Geburt, dass es ihrer Schwester nicht so gut gehen wird, wenn sie auf die Welt kommt, weil sie krank ist. Und deshalb müssen Mama und Papa für einige Zeit nach Deutschland in ein Krankenhaus. Sie könnten aber in der Zwischenzeit bei Oma und Opa bleiben. Als Oma und Opa ins Spiel kamen, waren sie sofort Feuer und Flamme, denn es gibt nix Besseres, als bei Oma und Opa zu sein.
Im Nachhinein glaube ich, dass es dumm war, nicht offen damit umzugehen. Denn es war nicht immer leicht, die Maske der glücklich Schwangeren zu wahren. So zu tun, als sei alles in Ordnung, und doch war gar nichts in Ordnung. Aber es war nie die Absicht, Menschen zu verletzten, indem wir ihnen nicht die Wahrheit über Jordis erzählt haben. Zum damaligen Zeitpunkt wollten wir einerseits unsere Familie vor weiteren Sorgen schützen und andererseits uns selbst. Wir wollten eine „normale“ Schwangerschaft. Jetzt weiß ich, dass eine normale Schwangerschaft unter diesen Voraussetzungen nicht möglich ist.
Alle anderen erfuhren dann in unseren Email/SMS, dass Jordis in Mannheim zur Welt kam mit einer CDH und kämpft wie eine Löwin. Viele sprachen dann mit unserer Familie, warum, wieso… Es war uns auch Gott sei Dank niemand wirklich böse, und es standen alle hinter uns und gaben uns Mut und Halt.
Wir haben uns nach einigem Hin und Her dazu entschlossen, dass unsere kleine Wirbelmaus in Mannheim zur Welt kommen soll. Und so war es dann auch. Wir reisten am Sonntag nach Mannheim, weil wir am Montagvormittag beim Direktor der Klinik für Neonatologie vorbeischauen sollten. Der Kaiserschnitt war für Dienstagmorgen geplant. Wir bekamen dann noch einen Rundgang und wurden stationär auf der Geburtsklinik aufgenommen, wo sogar zweimal noch ein Ultraschall gemacht wurde. Wir bekamen ein Familienzimmer, über das ich so froh war, denn ich wollte die Nacht vor der Geburt auf gar keinen Fall ohne meinen Mann verbringen. Der KS sollte am Dienstag gleich als erstes erfolgen. Um 9 Uhr wurden wir für den Kreißsaal abgeholt, wo noch ein CTG gemacht wurde. Und da fing dann das Warten an. Leider kam einiges dazwischen, sodass wir erst um 13 Uhr in den OP Saal gebracht wurden. Das Warten war die reinste Folter und meine Nerven lagen immer wieder blank. Tränen flossen. Kurz vorher hat aber noch Jordis Arzt vorbeigeschaut und uns gut zugeredet.
Im OP ging es sehr schnell. Ich wurde für die Spinalanästhesie vorbereitet, wobei mein Kreislauf dann kurzfristig nicht mitgespielt hat. Aber sie haben mir die Zeit gelassen, bis es wieder ging. Und dann gab es ein wildes Geruckel und Gezerre und plötzlich war da auch schon der erste leise, aber eindeutige Schrei unseres Mädchens zu hören. Ich war so erleichtert, als ich sie gehört habe. Das gab mir Kraft. Wir haben sie leider nicht sofort gesehen, obwohl uns gesagt wurde, dass wir wenigstens einen kurzen Blick auf sie werfen dürfen. Das hat mich zuerst doch sehr verunsichert. Ich wurde versorgt und anschließend wieder in den Kreißsaal gebracht. Mein Mann durfte zwischenzeitlich zu ihr und bekam die ersten Informationen. Er kam auch mit dem ersten Foto unserer kleinen Tochter zu mir. Ich war so froh, dass ihr Start ins Leben ganz gut geglückt war und sie sehr kräftig zu sein schien. Alle waren mehr als zufrieden. Bevor sie auf die Neointensiv verlegt wurde, durfte ich sie endlich auch das erste Mal sehen und berühren. Sie war natürlich schon intubiert und sediert, aber unser wunderbares und allerschönstes Mädchen! Der Chefarzt war super zufrieden, wobei er sagte, dass die nächsten Stunden zeigen werden, wie es weitergeht.
Nach einiger Zeit wurde ich wieder auf das Zimmer gebracht und mein Mann konnte zu unserer kleinen Maus und versorgte mich mit Fotos und Informationen.
Kurz nachdem mein Mann bei ihr ankam, waren noch alle sehr optimistisch, aber leider zeigte sich bereits kurze Zeit später, dass doch nicht alles so rosig war. Ihre Werte verschlechterten sich rapide und die ECMO wurde ins Zimmer gebracht. Und so kam es, dass sie um 18 Uhr bereits an der ECMO war. Aber sie hatte den Eingriff gut überstanden und war an der ECMO erst einmal stabil. Was wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht richtig verstanden hatten, war, dass der Anschluss eine richtige Operation ist. Uns war nicht ganz bewusst, dass es keine 0-8-15 Sache ist.
Leider war es mir am Abend noch nicht möglich, aufzustehen. Und auch am nächsten Tag konnte ich erst um 11 Uhr das erste Mal zu meinem Baby, das die Nacht sehr gut überstanden hatte. Ich war froh, dass mein Mann die meiste Zeit bei ihr war.
Und ab da begann dann eine mehr oder weniger gewisse Routine. Ab 9 Uhr war mein Mann bei ihr und ich folgte, sobald die Visite vorbei war. Bis auf die Mittagspause war immer jemand bei ihr. Auch abends blieben wir sehr lange. Ich so lange es schmerztechnisch ging, und mein Mann blieb meist noch bis 1 Uhr nachts. Jeden Abend verabschiedeten wir uns mit einer Geschichte und einem Gute Nacht Lied, einem Kuss und einem „Du machst das ganz toll, wir sind stolz auf dich“ Bzw. einem „Ich hab dich lieb“.
Wir waren so stolz auf unsere Maus, weil sie alles ganz tapfer und problemlos mitmachte. Die ECMO lief sehr gut und wurde schon bald langsam zurückgefahren. Wir lernten, was es heißt, wenn sich gewisse Werte veränderten und warum sie es taten. Es wurden uns alle Medikamente – und alle, die es schon hinter sich haben, wissen, dass es sehr viele sind – erklärt, warum sie sie bekam, was sie bewirken, etc. Jeden Tag durften wir ein bisschen bei der Pflege (die allen bekannte Mundpflege) helfen. Rückblickend wissen wir, wie wenig wir im Prinzip tun konnte, aber wie viel uns doch dieses Wenige bedeutete.
Am siebten Tag wurde ein Abklemmversuch (die ECMO Blutzirkulation wird unterbrochen/ abgeklemmt und man sieht, wie das Kind es ohne die Maschine schafft) gemacht, der erfolgreich war, und bereits ein paar Stunden danach wurde die ECMO wieder vom OP Team entfernt. Jordis machte es sehr gut und ihr Kreislauf war relativ stabil, sodass zwei Tage später die Korrektur-OP vorgenommen werden konnte. Bange Stunden für uns, aber sowohl Ärzte als auch Schwestern machten uns viel Mut. Wir haben uns abgelenkt, indem wir Babysachen einkaufen gingen, wobei wir natürlich sehr früh wieder zurück in der Klinik waren, weil wir im wahrsten Sinn auf Nadeln saßen. Schon bald kam der erleichternde Anruf, dass sie alles gut überstanden hat und wir in wenigen Augenblicken zu ihr können. Neben den vielen Schläuchen war da plötzlich diese lange Naht vom Brustbein bis zum Nabel. Auch wieder etwas, an das man sich gewöhnen muss. Eine Ärztin erklärte uns, dass sie einen sehr großen Defekt hatte, Magen, Darm, Milz und ein beachtlicher Teil der Leber befanden sich im Thorax, der Goretexpatch konnte aber am Zwerchfellrand problemlos angenäht und die Bauchdecke ohne Patch verschlossen werden. Die Bauchdecke war sehr gespannt und ich hatte anfangs das Gefühl, sie platzt jeden Moment auf. Nachdem wir auch diese Hürde erfolgreich hinter uns gebracht hatten, durfte sie sich zwei Tage von diesem Eingriff erholen, bevor begonnen wurde, wieder an den diversen Rädchen zu schrauben und Medikamente bzw. Beatmung zu reduzieren. Nach „langen“ 13 Tagen war es endlich soweit. Ich durfte Jordis das erste Mal in den Arm nehmen. Unbeschreiblich. Ich war so aufgeregt und nervös, aber es war so schön, dennoch befremdlich. Von da an konnten wir fast jeden Tag mit der kleinen Maus kuscheln.
Der nächste Schritt war die Ernährung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Jordis noch keinen Schluck im Magen und wurde nur durch Infusionen „ernährt“. Nach vier Tagen, obwohl immer noch grüner Gallensaft hochkam, meinte ihr Arzt, dass mit Glucose begonnen werden kann. Nach wieder ein, zwei Tagen war es dann soweit und die ersten Tropfen Muttermilch (ich war fleißig am Abpumpen) wurden unserer Maus sondiert. Und sehr mühsam ernährte sich das Eichhorn, was anfangs sehr schwierig für mich war, denn ich hatte bereits drei Kinder, die ich alle sehr lange und problemlos gestillt habe. Und darum war es für mich umso mühsamer zuzusehen, wie langsam es voranging, obwohl sie ja eh eine Streberhernie war, was bedeutete, dass sie in Augen der Schwestern und Ärzte alles in Rekordzeit absolvierte. Aber mit jedem Tag ging es besser, und da und dort konnte reduziert werden. Nach 20 Tagen war es endlich so weit, und sie sollte extubiert werden. Es war ein Montag. Alle Zeichen standen auf Grün. Die Medikamente waren bereits sehr stark reduziert. Der Klinikdirektor wollte selbst dabei sein, war aber bei einem Notfall und so war der Plan, das Extubieren auf den nächsten Tag zu verschieben. Kurz vor Mittag war es aber doch so weit. Unsere Maus sollte endlich selber atmen. Ich kam nach der Mittagspause auf die Station und wollte zu Jordis, als mich ein Oberarzt stoppte und mir nur knapp sagte, sie hat das mit dem Atmen nicht geschafft, sie ist wieder voll beatmet. So ließ er mich stehen und ging zu unserer Tochter. Ich war am Ende. Was heißt das? Wird sie nie selber atmen können, warum war jeder der Meinung, dass sie es problemlos schaffen würde? Das war einer der schlimmsten Momente für mich. Als ich endlich wieder zu ihr konnte, war sie vollständig sediert und komplett beatmet. Sie lag da wie am Tag ihrer Geburt, blass und schlapp. Ich dachte mir, wieder zurück an den Start, noch einmal von vorne. Aber Gott sei Dank hat sie sich relativ schnell wieder erholt. Der Chefarzt war der Meinung, dass es am Entzug lag, es in diesem Moment zu viel für sie war und sie deshalb absolut dichtgemacht hat. Für den nächsten und bestimmt letzten Versuch (zitiere Dr. Schaible) würde er vorsichtiger rangehen, das Fentanyl sollte fertig ausgeschlichen sein, und sie solle Chloralhydrat vorsorglich zur Beruhigung bekommen. Und so war es auch. Nach 5 Tagen war sie wieder so weit, dass extubiert werden sollte. Am Vortag wurden sowohl Dormicum als auch Fentanyl fertig reduziert. Und wie der Chefarzt sagte, ging dieser Versuch der Extubation absolut problemlos über die Bühne. Das erste Mal konnte ein Foto von Jordis gemacht werden, ohne Schläuche in der Nase – für einen kurzen Moment. Denn natürlich kam die Magensonde wieder rein und die Atemunterstützung erfolgte ab nun mit Hilfe des Cpap – sah im Prinzip gleich aus wie vorher, mit dem Unterschied, dass der Schlauch nur bis in den Rachen geht und nicht zur Lunge. Es war ein ganz besonderer Moment, als wir wussten, dass sie nun auch diese Hürde genommen hatte.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Drei Tage später wurde der Cpap entfernt und die Highflow Brille zur Unterstützung genommen. Wiederum einen Tag später (31.Lebenstag) wurde ihr das erste Mal ein Fläschchen gegeben, was eher schlecht als recht gelang. Am nächsten Tag war es so weit, und ich durfte Jordis das erste Mal anlegen. Und siehe da, gleich 20 ml hat sie getrunken. Von da an habe ich bei jeder Gelegenheit versucht, sie zuerst anzulegen und dann den Rest zu sondieren, was bedeutete, dass ich zu den Essenszeiten bei ihr war. Die Stillversuche waren aber bei Weitem nicht immer so erfolgreich wie das erste Mal. Es hing immer davon ab, ob sie munter war oder erst geweckt werden musste. Das Hungergefühl war ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Woher auch, wenn man alle drei Stunden den Bauch vollgepumpt bekommt, aber sie kannte das Prinzip, wie sie Milch aus dem Busen bekommt. Nach zwei Tagen an der Highflow Brille wurde auch schon der erste Auslassversuch gestartet, und auch das meisterte sie mit Bravour. Eine Nacht wurde sie noch an die Brille angeschlossen, aber dann hieß es auch schon: Jordis benötigt keine Atemunterstützung mehr. Nach 33 Tagen konnte sie ohne Unterstützung atmen. Bis zum heutigen Tag hat sie keine Sauerstoffgabe mehr benötigt. Die Atmung war natürlich noch etwas hochfrequenter, v.a. wenn sie sich sehr anstrengen oder aufregen musste, aber auch das besserte sich mit der Zeit.
Der Nahrungsaufbau war nach 32 Tagen abgeschlossen, was bedeutete, dass die erforderliche Menge an Nahrung ihr vollständig über die Sonde zugeführt werden konnte. Das wiederum hieß, dass der ZVK gezogen werden konnte und sie somit keinerlei Zugänge mehr hatte.
Nach 40 Tagen auf der Neointensivstation wurden wir heimatnah in das Universitätsklinikum Graz verlegt, weil Jordis nach wie vor L-Polamidon und Catapresan, zwei Medikamente, die den Entzug von den Schmerz- und Beruhigungsmitteln lindern sollen, bekam. Nach weiteren 6 Tagen konnte das L-Polamidon abgesetzt werden, und es wurde begonnen Catapresan mehr oder weniger langsam abzusetzen.
An ihrem 46. Lebenstag wurde die Magensonde entfernt, weil wir wussten, dass sie an der Brust ca. 50-55 ml trinken konnte. Ab diesem Tag hatten wir ein vollgestilltes Kind, das von sich aus ein Hungergefühl entwickeln konnte und dadurch auch regelmäßig nach Nahrung verlangte.
Nach 51 Tagen auf der Neointensivstation wurde Jordis ohne Sauerstoff und Magensonde entlassen.
Tja, was hat uns diese Zeit durchstehen lassen? Eigentlich der Glaube an unsere Tochter, denn sie war es, die uns weitermachen ließ. Es war nicht immer leicht – ganz und gar nicht – aber in der Schwangerschaft hielten uns unsere Kinder am Laufen, denn man muss funktionieren, es bleibt einem ja keine Wahl. Von Anfang an war da diese Hoffnung und auch das Wissen, dass sie alles so machen wird, wie sie es kann. Darauf vertrauten wir. Sie wird kämpfen und wenn ihre Kräfte nicht reichen würden, würden wir uns nicht vorwerfen müssen, nicht alles in unserer Macht Stehende getan zu haben, um ihr diesen Kampf zu erleichtern.
Nach Jordis Geburt hat sie uns am Weitermachen bestärkt. Natürlich war die Notwendigkeit der ECMO ein tiefer Schlag, aber sie hat fast jeden Tag Fortschritte gemacht und uns gezeigt, auch sie will so schnell wie möglich nach Hause zum Rest der Familie. Jeden Tag ging es vorwärts und Gott sei Dank mussten wir bis auf den missglückten Extubationsversuch keine großen Rückschläge hinnehmen. So konnten wir fast immer positiv am Abend aus ihrem Zimmer gehen, selbstverständlich mit der Angst, dass ein Rückschlag kommen könnte. Diese Angst verlässt einen nicht. Jeden Morgen kamen wir zu ihr und waren erleichtert, dass die Nacht ruhig und ohne gröbere Vorkommnisse über die Bühne gegangen war.
Es waren aber auch die vielen Menschen um uns herum, die wir Familie und Freunde nennen dürfen, die uns Kraft gaben. Die Familie, die sich ohne Worte um unsere drei großen Kinder gekümmert hat. Wir wussten, dass sie in den besten Händen sind und wir uns keine Sorgen machen mussten, ob alles in Ordnung ist und wie wir ihre Betreuung sicherstellen können, ohne dass Jordis darunter leiden würde, was natürlich relativ ist. Aber ich bin der Meinung, dass es für sie sehr wichtig war, dass wir so viel wie möglich bei ihr waren.
Sehr viel Mut hat uns aber in der Schwangerschaft Dr. Schaible gemacht. Er war der erste Arzt, der nicht davon sprach, dass unsere Tochter nur eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 10-20% hat und es sehr schwierig wird, dass sie es womöglich gar nicht an die ECMO schafft,… Wir gingen damals aus der Besprechung mit ihm sehr positiv heraus und haben neuen Mut getankt.
Ich bin sehr froh, dass wir in einem KH waren, in dem wir nicht die einzigen Eltern mit einem Baby mit Hernie waren. Das gleiche Schicksal verbindet doch. Und so gibt man sich gegenseitig Halt und Unterstützung. Man ist nicht alleine. Das habe ich als sehr hilfreich empfunden. Man zittert und bangt mit jeder Familie mit. Freut sich, wenn das Kind im Nachbarraum wieder eine Hürde geschafft hat, versucht aber auch aufzubauen, wenn ein Rückschlag zu Verzeichnen ist. So wurde das Abpumpzimmer zu einem angenehmen Rückzugsort, allerdings auch zu einem Ort, wo man mit den anderen Mamas quatschen konnte. Mittagessen sind mit den anderen Mamas auch viel besser als alleine.
Auch die Ärzte und Schwestern auf der 30-4 helfen durch diese Zeit. Wir wollten immer alles genau wissen. Welche Medikamente werden wofür verwendet. Warum piepst dies und das. Was wird wann reduziert. Und uns wurde alles immer mit Geduld erklärt. Das gab uns eine gewisse Sicherheit. Natürlich gibt es da auch noch diese eine oder andere Schwester bzw. diesen Arzt/Ärztin, die einem besonders ans Herz wächst.
Viele der betroffenen Personen werden es nicht lesen, aber an dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken. Ohne euch wäre diese Zeit kaum zu überstehen gewesen. Ihr seid die BESTEN!!!!
Nach 6 Wochen wurden wir aus Mannheim entlassen. Wir wollten unbedingt nach Hause, denn unsere Jungs brauchten dringend wieder die gewohnte Umgebung. Mein Mann musste sich auch wieder um seine Firma bzw. die Mitarbeiter kümmern. Deshalb haben wir uns gemeinsam mit den Ärzten in Mannheim dazu entschlossen, uns sobald wie möglich heimatnah verlegen zu lassen. Aufgrund der Entfernung war eine Verlegung erst möglich, als Jordis weg von der Beatmung war und die Medikamente so weit reduziert werden konnten, dass eine längere Zugfahrt möglich war. Wir haben uns dazu entschlossen, mit einem Zug nach Graz zu reisen. Eine 8-stündige Autofahrt wollte wir nicht wagen, denn was wäre, wenn sie den Maxi Cosi nicht toleriert. Sie während der Fahrt herauszunehmen war für mich aus Sicherheitsgründen nicht akzeptabel. Nachdem die Übernahme der Kosten von der Krankenkasse abgelehnt wurde, war auch ein Helikoptertransport nicht unbedingt das Mittel erster Wahl, zumal dieser auch nur mit mindestens einem Zwischenstopp möglich gewesen wäre. Also wurde für die Zugfahrt ein Kinderabteil reserviert, in dem wir – Jordis, eine Ärztin und ich – uns ausbreiten konnten. Die 9-stündige Zugfahrt nach Graz verlief ohne Zwischenfälle. Kurz vor dem Ziel dürfte sie wohl meine Aufregung gespürt haben und wurde sehr unruhig und sie wollte sich nicht beruhigen. Aus diesem Grund wurde ihr noch einmal Chloralhydrat verabreicht, und so verlief die restliche Fahrt im Zug und dann auch die halbstündige Autofahrt vom Bahnhof ins Krankenhaus ohne Zwischenfälle.
Die zweite Entlassung aus dem Krankenhaus in Graz verlief nicht ganz so ruhig. Nachdem wir von den Ärzten das Ok bekamen, ging alles ziemlich schnell. Ich musste an einem Säuglingsreanimationskurs teilnehmen, bekam eine Einschulung für den Überwachungsmonitor, wobei keine Überwachung der Sauerstoffsättigung für notwendig erachtet wurde. Ich lasse es mal so stehen, denn in erster Linie wäre diese von Vorteil gewesen, aber ich habe eingesehen, dass ich nicht immer mit den Meinungen der Ärzte konformgehen muss.
Und dann hieß es am späten Nachmittag plötzlich, wir könnten am gleichen Tag noch nach Hause. Mein Mann musste die Jungs ins Bett bringen, bat die Nachbarin auf diese aufzupassen und kam uns dann so gegen 21:00 Uhr holen. Während wir auf den Papa warteten, war Jordis sehr aufgeregt, hat viel geweint und wollte sich auch nicht so recht beruhigen lassen. Die erste halbe Stunde der Autofahrt wurde nur gebrüllt, sodass ich kurzfristig schon an meiner Entscheidung, nach Hause zu fahren, gezweifelt habe. Aber irgendwann überkam sie dann doch der Schlaf, und so konnten wir die zweite Strecke ruhig hinter uns bringen. Zu Hause angekommen, fiel mir erst einmal ein riesengroßer Stein vom Herzen, den man vielleicht auch in Mannheim gehört haben wird.
Dieses Gefühl, endlich zu Hause zu sein, war unbeschreiblich. Und den ersten Morgen zu Hause werde ich auch nicht vergessen. Die Jungs konnten endlich zu ihrer Schwester. Konnten sie angreifen und liebhaben. Dieses Strahlen, als sie gesehen haben, Mama ist mit der kleinen Schwester daheim – unbezahlbar. Und natürlich die vorsichtige Frage, ob Jordis und ich nun daheimbleiben würden. Meine Anspannung verflog sehr rasch. In der gewohnten Umgebung geht doch vieles sehr viel einfacher.
Aber natürlich war es nicht immer so einfach. Jordis war sehr unruhig und entzugig, wodurch sie fast immer auf meinem Arm war. Die Jungs mussten immer wieder warten und hinten anstehen. Aber dadurch, dass sie sahen, dass Jordis weinte, glaube ich, dass sie es so besser verstehen konnten. Zum Stillen setze ich mich zu den Jungs und war auf diese Weise kurzfristig mal für sie da. Ich konnte eigentlich die Uhr danach stellen, wann sie wieder sehr unruhig werden wird. Denn exakt 8 Stunden nach einer Catapresan Reduktion fing sie stark zu weinen an, wollte sich so gut wie gar nicht beruhigen lassen. Aber mit der Zeit fanden wir einige Tricks, es für uns alle einfacher zu machen. Dank unserer Physiotherapeutin fanden wir heraus, dass der Dunstabzug auf höchster Stufe oder später dann die diversen Apps mit Weißem Rauschen, ihr halfen, runter zu kommen. Bei diesen Geräuschen schaffte sie es, einzuschlafen. Diese Erkenntnis hat uns das Leben sehr erleichtert. Und so vergingen auch die Tage und Wochen und irgendwann war der Tag da, an dem ich ihr das letzte Mal Catapresan gab. Und plötzlich gelang es ihr, ohne Hilfe einzuschlafen. Ich weiß noch, als das das erste Mal geschah. Sie lag im Kinderwagen auf der Terrasse und hat vor sich hin gebrabbelt und plötzlich war es ruhig, einfach so… Sie schlief einfach so im Kinderwagen ein. In den nächsten Tagen sah man den Unterschied zum entzugigen Kind sehr stark.
Anfangs hatten wir wöchentliche Kontrollen im Krankenhaus, aber nachdem sie sahen, dass ich es trotz der drei großen Kinder schaffte, Jordis gerecht zu werden – dies war von den Ärzten ja ein Hinderungsgrund, dass wir nicht nach Hause gehen konnten – wurden die Zeiträume immer größer. Ich hatte meinen Kinderarzt, dem ich vertraute, der Jordis wöchentlich bzw. zweiwöchentlich sah.
Jordis hat sich im Grunde fast altersgerecht entwickelt. In den ersten Monaten war sie sehr unruhig, hat viel geweint, wollte nur getragen werden, hat sich bei/von mir aber gut beruhigen lassen. Was eindeutig mit dem Entzug zu tun hatte.
Motorisch war anfangs die Bauchlage ein Ding, mit dem sie nicht zurechtkam, was sicher auf die Operationsnarbe zurückzuführen ist. Deshalb konnte sie lange Zeit nicht in den Stütz. Aber als sie auch das gut tolerierte, ging es in Riesenschritten voran. Sitzen, Krabbeln und sich Hochziehen lernte sie innerhalb von eineinhalb Wochen. Mit einem Jahr konnte sie ihre ersten Schritte machen und mit 14 Monaten konnte sie richtig gehen. Im Grunde hat sie nicht wirklich etwas nicht altersentsprechend gemacht. Das Sprechen ist etwas mühsam, aber sie versteht alles, was man ihr sagt. Das lässt mich relativ relaxed mit der Sache umgehen. Sie ist jetzt 21 Monate alt und schafft es immer wieder, ihre Brüder an den Rand der Verzweiflung zu bringen, ist ein absoluter Kuscheltiger und in keinerlei Hinsicht schüchtern. Ist allen Menschen gegenüber offen und freundlich. Ein richtiger Sonnenschein. Und die Leute, die sie nicht kennen, würden wohl nie im Leben einen derartigen Start ins Leben vermuten.
Bezüglich Infekte – naja, was soll ich sagen. Wir schafften es immerhin 7 Monate – zum Glück war es Frühling, als wir aus dem Krankenhaus entlassen wurden – bis zum ersten Infekt. Der brachte uns dann für drei Tage ins Krankenhaus. Eine Bronchitis jagte ab diesem Zeitpunkt die nächste. Jeder kleine Schnupfen führte bei ihr zu einer Bronchitis, manchmal schlimmer, manchmal weniger schlimm. Aber Sultanol wurde unser bester Freund. Glücklicherweise war es nie so schlimm, dass ich es zu Hause nicht schaffte bzw. sie Sauerstoff benötigt hätte. Das größte Problem an diesen Bronchitiden war, dass sie während der schlimmen Phasen sehr viel gespuckt hat. Am Ende des ersten Winters fingen wir noch mit einer Dauermedikation von Singulair/Montelucast an. Und es war im Sommer auch keinerlei Problem mehr vorhanden. Bis September diesen Jahres schafften wir es dann wieder ohne Bronchitits. Mit Ende September kam auch wieder die erste Bronchitis/angehende Lungenendzündung. Sie bekommt seit einem halben Monat wieder täglich Singulair, und bis jetzt hält sich alles im Grenzen.
Gewichtsmäßig liegt sie im untersten Bereich, aber gleichmäßig. Sie ist nun fast 2 Jahre und kratzt an den 10 kg. Aber sie ist aufgeweckt und schafft alles ohne grobe Probleme. Hat auch keinerlei Probleme mit der Ausdauer.
Mal sehen, wohin der Weg geht. Wir sind sehr zufrieden und unendlich stolz auf unsere Maus, aber auch auf unsere gesamte Familie..
Eigentlich gibt es zwei, drei Dinge, die ich anders machen würde.
Einerseits würde ich versuchen, die Schwangerschaft mehr zu genießen, denn durch die Diagnose war es für mich nicht einfach, den Gedanken, sie womöglich nie im Arm halten zu können, beiseite zu schieben. Immer wieder brach ich in Tränen aus und war verzweifelt. Aber wahrscheinlich ist es gar nicht möglich, mit dieser Diagnose und v.a. der Prognose, die Schwangerschaft zu genießen.
Andererseits würde ich nicht mehr mit aller Gewalt versuchen, die Probleme alleine auszutragen. Ich glaube, es wäre um einiges einfacher gewesen, wenn wir mit der Diagnose offen umgegangen wären.
Aber das, was ich wirklich am meisten bereue und auf alle Fälle anders gemacht hätte: Wir hätten sie nicht heimatnah verlegen lassen sollen. Eine Woche oder auch zwei hätten wir in Mannheim viel einfacher verbringen können.
In den ganzen 6 Wochen in Mannheim habe ich mich nie so verloren, unfähig, deprimiert gefühlt wie in den zwei Wochen im heimatnahen Krankenhaus in Graz. Wobei man hier fairerweise sagen muss, dass es eigentlich nur eine Woche war, wo es besonders schlimm für mich war. In den ganzen sechs Wochen in Deutschland war ich nicht so verzweifelt wie in Graz. Ich bekam mit Jordis ein Eltern-Kind-Zimmer, um den Versuch zu wagen, ob es ohne Magensonde geht. Dies ging allerdings auch nur, weil sich eine Schwerster, die Jordis nun schon ein paar Tage kannte, für uns einsetzte und den Ärzten klarmachen konnte, dass Jordis nur aus dem Grund nicht immer ordentlich trank, weil sie einfach zu satt war. Und genau so war es dann auch.
Aber seitens der Ärzte gab es immer nur Zweifel. Sie muss die Medikamente schneller loswerden. Aussagen, wie „wenn es mir zu viel wird, soll ich doch das Kind den Schwestern geben“, drückten auf mich wie eine Tonnenlast. Laut Ärzten solle ich nicht gegen sie arbeiten, sie wollen ja nur das Beste für unsere Tochter, etc. Ich habe mich in unserem Zimmer eingesperrt gefühlt, konnte keinen Besuch haben. Es war fürchterlich. Immer wieder bat ich darum, nicht so schnell zu reduzieren, denn genau in dieser Hinsicht wurde ich in Mannheim vorgewarnt. Viele Kliniken versuchen, das Catapresan möglichst schnell zu reduzieren, was in den meisten Fällen nicht gut geht. Erst nachdem wieder einmal eine ganze Gabe weggelassen wurde und Jordis am Abend nicht zu beruhigen war, ich verzweifelt mit dem Kind im Arm zur Schwester ging und sie fragt, ob es das ist, was die Ärzte wollen, nahm sich ein Arzt gnädigerweise die Zeit und hörte mir zu, nachdem Jordis mit Chloralhydrat beruhigt wurde. Ich habe eine Stunde mit dem Arzt diskutiert und ihm endlich meinen gesamten Frust an den Kopf geworfen. Er sah nun endlich auch selbst, dass Jordis durch die schnelle Reduktion sehr leidet, wollte aber dennoch bei dieser Variante bleiben. Er warf mir vor, dass ich nicht will, dass Jordis keine Medikamente mehr benötigt, etc. Vor den Visiten war ich immer schon einem Nervenzusammenbruch nahe, weil ich wusste, dass ich wieder von 10 Personen als unfähig, mit meiner Tochter umzugehen, behandelt werde. Mag sein, dass sich das jetzt eigenartig liest, aber genauso fühlte ich mich. Ich wurde in ein Licht gerückt, als wisse ich nicht, was es bedeutet, Mutter zu sein. Dass ich bereits drei Kinder zu Hause hatte und seit Jordis Geburt jeden Tag an ihrem Bett saß und sie besser kannte als jeder Arzt und jede Schwester, wurde außer Acht gelassen. Außerdem hat es kein einziger Arzt für sinnvoll erachtet, mich zu fragen, wie die sechs Wochen in Mannheim waren, wie sie reagiert… Am Abend des langen Streitgesprächs mit dem Arzt meinte er dann so nebenbei, ja, vielleicht werden sie morgen doch einmal mit Mannheim telefonieren und fragen, was der dortige Chefarzt dazu sagt. Haben sie allerdings nie getan. Am ersten Abend, als wir in Graz ankamen, untersuchte eine Ärztin Jordis, und ihr erster Kommentar war: „Jetzt sind wir in Graz und in Graz ist alles anders.“ Die Mannheimer Ärztin ließ sie stehen wie ein dummes Schulmädchen. Es war mir so peinlich. Und der Überclou war, dass sie ihre Mahlzeiten von 8 x 60 ml auf 6 x 120 ml änderten – mit dem Kommentar: „Sie ist ein gesundes, reifes Mädchen, das nicht alle drei Stunden Essen braucht und mehr verträgt.“ Naja, was soll ich sagen: Nachdem Jordis dann die nächsten Mahlzeiten, kaum dass sie fertig sondiert waren, postwendend wieder nach oben befördert hatte, wurde doch auf meine Bitte, sie sollen die Menge wieder reduzieren, eingegangen.
Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass unsere Wahl für Mannheim, die Kollegen in Graz derart beleidigen würde. Wir hatten eigentlich nicht den Eindruck, dass man es uns übelnehmen würde, weil wir ihnen unsere Tochter nicht anvertraut haben. Nach den zwei Wochen auf der Intensivstation war ich aber in der Meinung das absolut Richtige getan zu haben, bestärkt.