Ella
*27.07.2024
Am 2. Jänner 2024 hielt ich ihn in der Hand - den positiven Schwangerschaftstest. So ein Wunschkind! Und zum Glück bin ich auch sehr unkompliziert schwanger geworden.
Wir, Stefan und Verena, sind seit Juli 2023 verheiratet, haben ein selbstgebautes Haus und führen ein unglaublich freies Leben: Freunde, Familie, Urlaub, Pizza, Pasta und Pommes. Das sind wir.
Die Schwangerschaft verläuft soweit gut. Nach einem Magen-Darm-Infekt bleibt leider die Übelkeit und ich muss mich mehrere Wochen immer wieder übergeben. Aber mit der unglaublichen Unterstützung meines Mannes bekommen wir das gemeinsam gut hin.
Am 26. April haben wir einen Termin zum Organscreening. Wir haben uns bewusst gegen Nackenfaltenmessung und sonstige Tests entschieden, doch mein Frauenarzt befürwortet das Organscreening und wir freuen uns darauf, das Geschlecht unseres Babys zu erfahren.
Unsere Pränatalmedizinerin beginnt mit der Untersuchung und sagt zu Beginn gleich scherzhaft, dass unser Baby ja “hyperaktiv” sei - das wissen wir da bereits, denn in meinem Bauch wird ständig geturnt. Und wir hören immer wieder von verschiedenen Ärzten, wie aktiv unsere “kleine Hexe" ist.
Plötzlich legt die Ärztin das Ultraschallgerät zur Seite und meint: “Da passt leider etwas grob nicht”. Stille. Ich frage dann: “Kann mein Baby aber leben?”
Sie zuckt mit den Schultern. In meinen Ohren rauscht es nur mehr, mein Mann bleibt im Schock erst ruhig und fragt nach ganz vielen weiteren Fakten. Wir hören hier von Zwerchfellhernie, Bonn, Belgien, Sauerstoff, Lunge zu klein, Trisomie 13, 18, 21, NICHT MIT DEM LEBEN VEREINBAR. Die Ärztin ruft sofort im Krankenhaus an, Freitag kurz nach Mittag erreicht sie dort niemanden und wir bekommen die Info, dass sich das Krankenhaus bei uns melden wird. Wir fahren nach Hause und weinen sehr viel. Das Baby tritt ganz fest.
Telefonisch bekommen wir die Info, dass wir am 30. April den Termin zur Fruchtwasseruntersuchung auf der Feto-Maternal-Ambulanz im Med Campus IV in Linz bekommen.
Stefan und ich sind unglaublich positive Menschen. Wir vereinbaren kurz zu googeln und wenn es zu hässlich wird, sofort aufzuhören. Die Seite https://totaltrial.eu gibt uns die ersten Infos und wir sind wieder ganz positiv eingestellt. Fest überzeugt, dass unsere Hexe eine kleine Hernie und eine große Lunge haben wird.
Die Untersuchung im MC4 verläuft gut, am 2. Mai erhalten wir die Ergebnisse der Fruchtwasserpunktion: Keine Auffälligkeiten! Yess!
Für die kommende Woche erhalten wir einen Termin im AKH Wien zum fetalen MRT. Die kleine Hexe turnt so wild herum, dass wir eine Stunde für die Untersuchung brauchen.
In Linz erfahren wir wieder eine Woche später, dass die erste Einschätzung der Lunge (LHR 48%) leider so nicht stimmt und wir bei LHR 30% liegen. Rechtsseitige Hernie - also eine viel zu kleine Lunge und noch dazu die seltene Variante. Es befinden sich Teile vom Darm, Nebenniere und Leber im Brustkorb. Das Herz ist stark zur Seite verdrängt.
Wie vor der Diagnose geplant, nehmen wir uns zwei Wochen Auszeit und verbringen die Zeit in Spanien. Die erste Woche ist mit vielen Tränen gefüllt, die zweite Woche tanken wir Energie und Kraft am Meer. Wir sammeln Muscheln für später, wir hüpfen in den Wellen und das Baby tritt fleißig.
Die Ärztinnen in Linz stellen unseren Fall in Bonn vor und von dort kommt eine positive Rückmeldung. Wir kommen für den Ballon in Frage. Wir bereiten uns auf eine Trachealokklusion mittels "FETO-Ballon", wie wir ihn nennen, vor. So lernen wir unsere Ärztin aus Bonn via Zoom Call kennen. Hier hören wir Dinge wie: Überlebenschance niedrig, Frühgeburtlichkeit erhöht, hohes Risiko Blasensprung, usw. Trotz allem entscheiden wir uns für den Eingriff und fliegen am 16. Juni (während der EM in Deutschland - Preise dementsprechend hoch) für voraussichtlich eine Woche nach Bonn. Mir ist bewusst, dass ich wochenlang in Bonn bleiben muss, sollte etwas schief gehen. Am 17. Juni sind die ersten Untersuchungen in Bonn, ich werde stationär aufgenommen. Der Eingriff ist für den 18. Juni vorgesehen und wird dann auch gestartet.
Stefan sitzt hinter mir und hält meine Hand. Ich bekomme etwas für einen “leichten Dämmerschlaf”, bekomme aber alles mit. Die Vorbereitungen für den Eingriff werden getroffen, die uns betreuende Ärztin kommt in den OP. Das Baby wird in die richtige Position gedreht - die kleine Hexe hat sich natürlich nochmal umgedreht die Nacht davor.
Beim ersten Ultraschall sehen wir schon, wie die Kleine den Mund weit aufmacht und alle lachen, denn sie zeigt schon brav, dass sie mitmacht. Das Baby wird sediert. Ab jetzt für zirka eine Stunde. Doch leider kommt es anders. Nach 4 Versuchen mit immer wieder zurück, drehen, neu rein usw. muss der Eingriff ohne Erfolg abgebrochen werden. Ellas Luftröhre ist so verdrängt und hat einen Knick, der Ballon konnte nicht an der richtigen Stelle platziert werden. Diese Enttäuschung, diesen Rückschlag kann ich hier gar nicht wirklich beschreiben. Ganz ehrlich - ich wollte das Baby nicht mehr spüren, jedes CTG habe ich gehasst. Da schlägt so ein starkes Herz, sie turnt wie verrückt und soll so krank sein? Warum passiert das uns? Da kämpfen wir so sehr, fliegen extra so weit und dann geht das schief. Wir haben uns in alle Richtungen beraten lassen und sind am Freitag wieder zurück nach Österreich geflogen mit einem sehr negativen Gefühl. Wichtig ist mir zu erwähnen, wie gut wir uns in Bonn zu jeder Zeit aufgehoben gefühlt haben.
Hier kam das Thema “Palliative Geburt” oder “Abbruch” ins Spiel. Irre, sowas sollten Eltern niemals entscheiden müssen.
Zurück in Linz hatten wir ein unglaublich gutes Gespräch mit unserer Pränatalmedizinerin, dem Neonatologen und Kinderchirurgen. Etwa eine Stunde nahmen sich die Drei für uns Zeit. Und trotz der vielen, vielen Rückschläge, Tränen, Wut usw. die wir schon erlebt haben, gingen wir wieder gestärkt und positiv aus dem Gespräch. Sobald das Baby 1800 bis 2000g zirka hat, werden wir den medizinischen Maximalkurs anpeilen. Sollte es davor zur Geburt kommen war eine vaginale Geburt geplant. Grund war, dass die ECMO sehr wahrscheinlich war und unter dieser 2kg Grenze keine Möglichkeit für diese Behandlung bestand.
Ab jetzt wurde ich wöchentlich untersucht und wir planten den Kaiserschnitt für voraussichtlich 4. September 2024. Denn unsere Hexe nahm ordentlich zu und wir hatten die 1800g erreicht. Die Schwangerschaft verlief ja soweit gut, ich hatte Fruchtwasser immer obere Norm, aber Gebärmutterhals und alles andere war immer optimal. Schon hier nahmen wir beide regelmäßig psychologische Hilfe in Anspruch, für uns sehr wichtig und hilfreich.
Wir gönnten uns einen traumhaften Urlaub vom 17. - 20. Juli in Bayern. Abends lagen wir stundenlang auf der Terrasse und streichelten den Bauch - das Baby war vom Baden so wach und wir wurden die ganze Zeit getreten. Sie reagierte unglaublich auf unsere Stupser, Stimmen und die Spieluhr.
Zurück zu Hause hatte ich in der Nacht auf 21. Juli um 1.15 Uhr den Blasensprung in der 33. Schwangerschaftswoche. Ich wurde wach und spürte, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Wir riefen im Krankenhaus an und fuhren los. Wieder positiv gestimmt, dass ich entweder gleich wieder nach Hause darf oder dass ich jetzt halt fünf Wochen dort bleibe, aber alles wird gut. Diese Positivität hielt wirklich ständig an. Nach jedem Rückschlag standen wir wieder auf. Wir bauten Pläne und Träume, Ziele…
Leider war es tatsächlich Fruchtwasser und so verbrachte ich die Woche vom 21. bis 26. Juli im Krankenhaus. Tokolyse dauerhaft, Antibiotikum per Infusion drei mal täglich. Zweimal täglich CTG. Hier musste manchmal eine Schwester oder Hebamme eine Stunde am Bett sitzen, weil die Hexe immer turnte. Leider waren die Nächte im Krankenhaus sehr, sehr mühsam. Die ersten zwei Nächte konnte ich dank der Lungenreifung (Cortisonspritze) nicht schlafen. Dann kam eine Nacht mit extrem viel Fruchtwasserverlust. Die Nacht darauf war schon ständig Blut dabei. Also, ständig zum Kreißsaal, CTG, Ultraschall, wieder zurück. Körperlich war diese Woche für mich wirklich unglaublich fordernd. So kam es dazu, dass ich die Nacht vom 26. auf 27. Juli im Kreißzimmer verbringen durfte, damit mir das “hin und her” zwischen Zimmer und Kreißzimmer erspart blieb. Stefan fuhr am Abend gegen 21 Uhr nach Hause und um 23 Uhr wollte ich mich zum Schlafen hinlegen. Plötzlich kamen aus dem Nichts Wehen - später erfuhr ich: 15 Minuten lang, alle 2 Minuten. Innerhalb kürzester Zeit war der Raum hell, mehrere Hebammen und Ärztinnen waren bei mir. Mir wurde die Akuttokolyse gespritzt - körperlich sehr intensiv für mich. Die Pränatalmedizinerin entschied, dass der Kaiserschnitt jetzt nicht mehr vermeidbar war und bei 33+0 durchgeführt wird. Geplant wurde er um 8 Uhr früh - damit das Personal noch nach dem Nachtdienst in voller Besetzung unsere Tochter holen konnte. Um Mitternacht “jubelten” wir kurz im Raum, da die 34. Schwangerschaftswoche erreicht wurde.
Stefan kam wieder zurück ins Krankenhaus und wir verbrachten die letzte Nacht als Paar ohne Kind im Kreißsaal. Wir hofften fest auf ein gutes Ende, gingen die Namensliste durch (hier waren noch 19 Namen im Spiel, wir konnten uns einfach nicht entscheiden) und schliefen sogar für zwei Stunden. Ich wurde auf die OP vorbereitet mit Strümpfen, Hemd, Antibiotika (brachte mich kurz zum Erbrechen) und allen notwendigen Maßnahmen. Ständig hatte ich das CTG am Bauch und unsere Hexe war immer stabil und es ging ihr gut.
Kurz vor 8 Uhr wurde ich abgeholt und in Vollnarkose versetzt. Schon um 8.03 Uhr erblickte unsere Tochter das Licht der Welt. Sie wurde sofort intubiert und sediert und Stefan erhielt von der Hebamme ein erstes Bild unserer hübschen Maus. 2209g schwer, 47cm groß und unglaublich süß.
Doch schon nach kurzer Zeit erfuhr mein Mann vom Neonatologen, dass ihr Zustand kritisch war. Die Sauerstoffsättigung lag im Bereich 30/40% und während diesem Gespräch erhielt er weitere Anrufe. Hier kam die Info: Es ist moralisch und ethisch nicht vertretbar, das Baby an die ECMO zu hängen. Auch nach zwei Wochen ECMO ist keine so große Verbesserung zu erwarten. Sie zeigte uns ganz klar, dass ihre Zeit mit uns nur kurz ist.
Wir haben im Vorhinein viel darüber gesprochen, dass unsere größte Angst ein Pflegefall ist. Unsere größte Hoffnung ist ein Kind mit einem lebenswerten Leben. Ein Mäderl, das mit 4 Jahren die Strapazen aufgeholt hat und mit uns Roller fährt oder ans Meer fliegt.
Ich wurde aus der Narkose geweckt - viel früher als geplant, da ja klar war, dass wir nicht viel Zeit hatten. Vor lauter Glück darüber, Mama zu sein, konnte ich gar nicht traurig sein im ersten Moment. Dieses Glück werde ich nie vergessen!
Der 27. Juli 2024 war der schönste und grausamste Tag überhaupt.
Wir durften unsere Tochter sehen und entschieden uns für den Namen Ella. Die Seelsorgerin kam und fragte uns, ob wir eine Taufe oder Segnung möchten - wir entschieden uns für die Segnung. Die Sternenfotografin wurde informiert und war unglaublich schnell bei uns. Und uns wurde von den Ärzten empfohlen, dass wir unsere Familien informieren. So kamen ganz enge Familienmitglieder ins Krankenhaus, um Ella kennenzulernen - und um sich gleichzeitig zu verabschieden.
Ella verbrachte diese Stunden mit Liebe, Kuscheln und vielen Schläuchen, aber auf meiner oder Stefans Brust. Ihre Sättigung wurde auf meiner Brust sogar besser, was unglaublich tröstlich ist. Wir verbrachten wunderschöne Stunden und waren von Familie und unglaublich herzlichen Mitarbeiterinnen im Krankenhaus umgeben.
Kurz vor 15 Uhr zeigte uns Ella, dass es für sie Zeit war zu gehen. In Begleitung einer Ärztin, unserer Hebamme und einer Krankenschwester wurde Ella mehr Schmerzmittel und weniger Hilfsmittel gegeben und um 15.10 Uhr war ihr viel zu kurzes Leben vorbei.
7 Stunden und 7 Minuten.
Ella wurde im Anschluss weiter gekuschelt, gebadet, es wurden Fußabdrücke gemacht und Handabdrücke, wir durften mit dem Stationshandy viele Fotos machen (wir wollten keine Fotos auf den eigenen Handys haben, allgemein sind Fotos von Ella für uns sehr viel wert und werden nie in Clouds oder auf WhatsApp zu finden sein). Unsere Ella wurde angezogen und in ihr Bett gelegt.
Wir wollten noch unbedingt wissen, ob es Sinn macht, Ella zu untersuchen. Aber da die Todesursache so klar war, wurde dies verneint. In unserer Schwangerschaft war ich immer so froh über Studien oder Erfahrungsberichte, deshalb wäre das für uns wertvoll gewesen.
Allerdings wurden wir über die Möglichkeit der Herzklappen-Spende informiert und wir waren sofort einverstanden. So hat diese ganze unfaire, gestörte, irre und ja - Scheiss-Situation noch irgendwie einen Sinn.
Also wurde unsere kleine Ella am Abend noch von zwei Herzchirurgen operiert und die Herzklappen wurden entnommen. Diese sind für 5 Jahre präpariert, sie hat jetzt die Chance, zwei Kindern zu helfen.
Nach der Operation ging es für uns nochmal zu Ella zum “Gute Nacht - sagen”. Es war so unendlich traurig. Durch den Kaiserschnitt war ich sehr geschwächt und wir mussten früh zurück ins Zimmer. Irgendwie verspürten wir auch eine Art Erleichterung. Die drei Monate Ungewissheit waren so unglaublich anstrengend und jetzt war es klar - Ella hat es nicht geschafft.
Das Aufwachen am Sonntag war für mich der schlimmste Moment. Samstag war ich durch Vollnarkose, Fentanyl und Piritramid auch in der Wahrnehmung stark verändert. Und jetzt musste ich zum ersten Mal diesen Schmerz auch wirklich spüren und realisieren.
Sonntagvormittag hatten wir noch ein letztes Shooting mit der Sternenfotografin in einem kleinen Gedenkraum. Ella war schon kühl, aber unglaublich hübsch. Wieder kuschelten wir, ich gab ihr unglaublich viele Küsse und bewunderte ihren wunderschönen Körper - sie hatte verblüffend viele Ähnlichkeiten mit uns und eine große Narbe auf der Brust. Unsere Kämpferin und Heldin.
Dann wurde es Zeit. Stefan hielt Ella, ich gab ihr einen letzten Kuss auf die Stirn und er legte sie in das Bettchen. Ein letztes Mal zogen wir ihr die Spieluhr auf und gingen aus dem Raum.
Unsere Tochter ist tot und wir vermissen sie unglaublich. Ich wusste nie, wie sehr man Liebe spüren kann und wie viel Energie man durch diese kleinen Tritte im Bauch bekommt. Wie sehr man als Mama zur Kämpferin werden und immer wieder hoffen kann.
Drei Monate ab Diagnose, laufende Termine im Krankenhaus, Bonn, eine Woche Krankenhaus nach Blasensprung und jetzt die Trauerzeit. Ständig Rückschläge, immer wieder aufrichten.
Keine Mama, kein Papa sollte so etwas spüren müssen.
Aber Ella hat uns gezeigt, wie viel Liebe man in so kurzer Zeit geben und spüren kann. Durch Ella sehe ich in kleinen Dingen so viel Schönes - die Sterne, ein Schmetterling, eine Blume, wie bunt unsere Welt doch ist. Und dank Ella weiß ich, dass man wichtige Dinge nicht materiell aufheben kann. Denn auch wenn jede Muschel, jeder Stein, jede Decke die Ella berührt hat uns unglaublich wichtig ist, das wichtigste ist das Gefühl, das sie bei uns hinterlassen hat.
Danke an meinen Ehemann Stefan. Für deine Unterstützung und Liebe. Fürs da sein. Du bist der beste Papa für meine Tochter Ella.
Großes Dankeschön an unsere Eltern, Geschwister und Freunde. Fürs immer da sein.
Unendlich viel Dank an das Team im Med Campus IV Linz. DANKE…
Jede/r von euch macht weit mehr als einen Job - ihr leistet unglaubliches!
Und danke, dass du bis hierhin gelesen hast. Es sind nur Bruchstücke unserer Geschichte, doch ein kleiner Einblick in die letzten drei Monate meines Lebens.
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